bergundsteigen #130
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Eispassagen an der Hohen Kisten im Estergebirge in den Bayerischen Voralpen
von Andi Dick
24. Feb. 2025 - 3 min Lesezeit

Verhauer Eisklettern: Rausgelüpft beim Nachstiegssturz

Eingespreizt im flachen Schnee halte ich einen Nachsteiger über Körper ohne Probleme? Von wegen! Ein Aha-Erlebnis, das zu Demut anregen darf.

Mein alter Freund Nicho schwärmt von einem Voralpenberg, in dessen Nordflanke er Winter-Stoff vermutet: Mehrere Rinnen ziehen zur Gipfelflanke der Hohen Kisten im Estergebirge hinauf, in denen sich vielleicht kletterbares Eis bildet. Also stapfen wir den Wanderweg zum Wandfuß, suchen uns eine Rinne raus, und pickeln tatsächlich schon bald einen ersten kleinen Aufschwung hinauf.

Dann steht es vor uns: das „Schachterldeifi“, der Kobold der Hohen Kiste. Eine richtig schöne Eissäule, zwanzig Meter hoch, mit ein paar Absätzen, aber auch definitiv senkrechten Metern, unsere Hoffnungen übertreffend. Glücklicherweise haben wir ein paar Eisschrauben eingepackt; ich mach mich ans Werk, pickle und spreize die WI 4+ hinauf.

Nicho Mailänder und Andi Dick
Nicho Mailänder und Andi Dick nach ihrem „Aha-Erlebnis“ und genussvollen Eismetern am Ausstieg. Andi Dick gehörte jahrzehntelang als Panorama-Redakteur quasi zum Inventar des DAV. Inzwischen ist der Berg- und Skiführer „Profialpinist in Altersteilzeit“, klettert und führt weltweit und schreibt als freier Autor für diverse Magazine. Foto: Andi Dick

Vor dem letzten Aufschwung setze ich die letzte Schraube, dann geht es tricksig-kraftig über die senkrechte Stufe und den Eismantle hinauf. Coole Länge, jetzt einen Stand bauen, um Nicho nachzusichern, der nicht so häufig in dieser Steilheit unterwegs ist und dessen Pickel an Peter Aschenbrenner erinnert.

Ich finde mich in einem Schneekessel, wie eine sehr große Bachgumpe, eine fast ebene Bodenwanne, am hinteren Rand ein kompakter Felsaufschwung, seitlich werden wir leichter weitersteigen können. Die nächsten Latschen sind weit oben, unpraktisch zum Nachsichern, der Fels ist kompakt. Naja, vom flachen Schneefeld wird mich ein Nachstiegssturz kaum wegreißen, wenn ich Luis-Trenker-Sicherung mit Halbmastwurf am Gurt mache.

Da sehe ich aus dem Augenwinkel, dass die Felsstufe in fünf Metern Höhe eine Art Horn ausbildet – zwar reichlich flach für eine Köpflschlinge, aber so als moralisches Backup, aus Prinzip und überhaupt, und weil es sich doch irgendwie gehört, zumindest pro forma so was wie eine Selbstsicherung zu basteln, schaun mer mal …

Mit einem Lassowurf bringe ich das Seil über das Horn, häng’s im Gurt ein und den HMS in die Einbindeschlaufe. Im flachen Schnee trete ich mir eine tiefe Sitzwanne heraus, stampfe die Fersen in den Schnee, um Gegenhalt zu haben, drei Meter weiter läuft das Seil über die Kante, wo Nicho raufkommen wird. Selbst wenn er fallen sollte, müsste ich ihn in dieser Position problemlos halten können.

Eispassagen an der Hohen Kisten im Estergebirge in den Bayerischen Voralpen
Gar nicht mal so flache Eispassagen ziehen an der Hohen Kisten im Estergebirge in den Bayerischen Voralpen Richtung Gipfel. Foto: Nicho Mailänder

Am Anfang geht’s noch ganz flott, dann signalisieren hektische Pickelgeräusche und verschärftes Atmen, dass Nicho sich nicht leicht tut mit dem ungewohnten Gelände und der letzten steilen Stelle. Ich spreiz mich noch ein bisschen fester ein und gehe leicht auf Zug. Plötzlich ein unterdrückter Schrei – er ist rausgeflogen! – das Seil strafft sich – und ich hänge zwei Meter höher in der Luft, wie an einem Spinnenfaden, der sich von der Wandkante zu meinem Felshorn-Köpfl spannt. Ohne das „moralische Backup“ lägen wir beide zwanzig Meter tiefer am Fuß der Stufe.

Fazit

  • Der Trenker-Luis war scho a Hund, aber gegen die Gesetze der Physik kann er genauso wenig ausrichten wie Sylvester Stallone – auch wenn man im Kino anderes zu sehen kriegt.
  • Man unterschätze nicht die Zugkraft, die selbst bei einem Nachstiegssturz auftreten kann, etwa wenn Eisgeräte mit Schwung ausbrechen. Und erst recht nicht die Hebelwirkung, die über eine Umlenkkante entstehen kann.
  • Prinzipien sind prinzipiell nichts Verkehrtes. Und selbst eine improvisierte, schlechte Sicherung kann besser sein als gar keine.

Alle Kommentare (2)

  1. Andi Dick
    09.Apr. 2025 am 11:45 am | Antwort
    Hi Mona, hätte, hätte... – sehr ungern; und ich hab ja nicht. Alpinismus ist die Kunst, zu improvisieren, wenn die Rahmenbedingungen nicht so sind, wie man sie sich wünscht. Und dabei trotzdem möglichst zu überleben. Prinzipien wie "lieber was schlechtes als nix" können dabei helfen. Im Stehen hätte ich sicher nicht zu Sichern versucht; das funktioniert höchstens mal hinter einer Gratkante, wo das Seil in den Schnee einschneidet, oder hinter eine Felskante, die Reibung gibt. Und auch eher nur, wenn das Gelände flach ist und kein freies Hängen möglich. Körpersicherung im Sitzen möchte man gerne unterstützen durch einen eingerammten Pickel oder Ski. Und auch da wird's eng bei freiem Hängen. Aber was machst Du, wenn Du nix findest? Wieder zurücksteigen und umdrehen? Eine Eisschraube unter dem letzten Eisaufschwung und dort nachsichern, dann erst oben raus? Schauen, ob der Schnee tief genug ist für einen T-Anker und sich ausreichend verdichten lässt? Doch bis zu den Latschen hochsteigen und den schlechten Winkel (-> Pendelsturz) für den Nachsteiger in Kauf nehmen? Hoffen, dass der Partner nicht fällt? Optionen gibt's schon, aber richtig überzeugende? Gut, dass es das Felshorn gab. Gut, dass es in der Zugrichtung gehalten hat. Gut, dass das Bauchgefühl wohl doch stark genug war, nochmal genauer zu schauen und nicht auf das Luis-Trenker-Provisorium zu vertrauen. Ich denke, dass die Kraft, die selbst bei einem Nachstiegssturz auftritt, gerne unterschätzt wird. Deshalb hab ich die Geschichte aufgeschrieben. liebe Grüße, Andi
  2. Monika
    08.Apr. 2025 am 6:19 am | Antwort
    hallo, nur für mein verständnis: du hättest ohne backup nur im stehen ohne haken den nachsteiger gesichert? lg mona

Erschienen in der Ausgabe #129 (Winter 24-25)

bergundsteigen #129 Cover