bergundsteigen #130
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Gipfel Mount Everest, Foto: Robert Bösch
05. Juni 2023 - 4 min Lesezeit

8.000er-Alpintourismus, Harila und die fehlende Stil-Diskussion

Mit der Etablierung des Bergtourismus an den meisten Achttausendern und allen Seven Summits plus ein paar anderen Bergen, (zB. Ama Dablam) hat sich das geforderte alpinistische Können gegen Null reduziert. Mit alpinistischem Können meine ich selbständiges Klettern, Handeln und Entscheiden am Berg. Alles was früher an diesen Bergen gefordert war, ist heute dank technischer Infrastruktur am Berg weitgehend überflüssig geworden. Es reicht, wenn man im Basislager lernt mit Steigeisen zu gehen und sich am Fixseil richtig einzuhängen. Ein Meinungsartikel von Robert Bösch.

Update 27.07.2023: Mit dem Gipfel des K2 komplettierten die Norwegerin Kristin Harila und der nepalesische Bergführer Tenjin Sherpa ihre Achttausendersammlung. Für die Besteigung der 14 höchsten Berge der Welt benötigten die Beiden gerade mal drei Monate und einen Tag.

Was zur Zeit alles rekordversuchsmäßig an den Bergen der Welt – beziehungsweise in den Sozialen Medien – abgeht, bedürfte einer kritischeren journalistischen Beurteilung. Leider wird der Begehungsstil am Berg kaum je thematisiert – dabei müsste das der Kern jeder Erfolgs-Berichterstattung sein. Die Formulierung «Harila und ihr Team» wird einfach übernommen, als ob es sich um eine Fußballmannschaft handelt.

Team Harila im Annapurna Basecamp
So viele Menschen waren schon letztes Jahr im Team von Kristin Harila und maßgeblich an ihren Gipfelerfolgen beteiligt. Das Team ist hier im Basislager von Annapurna.

Aber «Team» bedeutet in diesem Zusammenhang vor allem Arbeitsteilung am Berg: die einen schleppen, spuren, errichten die Zelte und installieren die Fixseile, die anderen steigen mit minimalstem Gepäck in der Spur auf und berichten möglichst medienwirksam über ihre «Heldentaten».

Ankündigungsalpinismus vom Feinsten

Dass Harila groß ankündet, jetzt alle 14 Achttausender ohne Sauerstoff zu besteigen – natürlich in Rekordzeit – und dann bereits beim zweiten Berg – notabene beim niedrigsten Achttausender – zur Flasche greift, weil’s etwas windig war und sie feststellte, dass man «ohne» nicht ganz so schnell ist wie «mit», beweist eigentlich alles. Großartiges ankünden und dann bereits zwischen 7000 und 8000m zur Flasche greifen, hört sich irgendwie lächerlich an.

«Das, was Harila macht, ist Ankündigungsalpinismus vom Feinsten.»

https://www.instagram.com/p/CroiiiBM4eX/: Hier berichtet Harila auf ihrem Instagram Account über die Gründe für den Einsatz des Flaschensauerstoffs.

Unpassende Gegenüberstellung

Wirklich unpassend ist der immer mal wieder herbeigezogene Vergleich mit der Bergsteigerin Gerlinde Kaltenbrunner. Diese zwei Frauen miteinander zu vergleichen – die eine brauchte 13 Jahre (wie langsam) und die andere nur 1 Jahr (so stark) – ist wohl nicht wirklich zu Ende gedacht: Gerlinde hatte nie im Sinn alle 14 Achttausender zu machen, am Anfang.

Szene aus dem Everest Base Camp (5.200 m, Khumbu, Nepal): Ausbildung zum Steigeisengehen und Seilbenutzung für Everest-Aspiranten. Foto: Robert Bösch

Im Verlaufe der Jahre und der erfolgreichen Besteigungen, entstand dann dieses Projekt. Aber da war nie der Versuch, alle Gipfel möglichst schnell zu machen. Ihr ging es um den Stil. Die zwei Frauen unterscheidet nicht nur die Haarfarbe, sondern ihr Können am Berg, ihre Leistungsbilanz und ihr Selbstdarstellungsbedürfnis.

  • Gerlinde hat am Berg geliefert und danach darüber berichtet.
  • Gerlinde hat alle 8000er ohne Sauerstoff bestiegen. Wie groß der Unterschied zwischen mit und ohne ist, können nur Leute einschätzen, die wirklich ohne in großer Höhe unterwegs waren. Es sind Welten. Harila hat es jetzt vielleicht auch ein bisschen gemerkt.
  • Gerlinde war nie mit einem «Team» unterwegs, das die Spurarbeit, Zeltaufstellen, Wegsuchen, Sauerstoffflaschen tragen für den (schwächeren) Medien-Star übernommen hat. Sie war immer eine sehr starke und eigenverantwortlich handelnde Person am Berg. Oft war sie auch die stärkste und «pushenste» Person in der Seilschaft. So z.B. bei ihrer extrem starken Leistung bei der Besteigung des K2 von Norden mit Wassilij und Maksut.

Ich war mit Gerlinde in der Shisha Pangma Südwand. Ich weiß um ihre Stärke am Berg.

Ein Vergleich von Kaltenbrunner und Harila ist so absurd, wie wenn man die „Team- Besteigungen“ eines Nims mit den wirklich herausragenden alpinistischen Taten Erhard Loretans, oder Reinhold Messners, oder Ueli Stecks – um ein paar Namen zu nennen – vergleichen würde. Aber «Nims» ist eine andere Geschichte – was eigentlich nicht stimmt. Es ist genau die gleiche, nur krasser.

Außergewöhnliche Tat am Berg

Es ging im Alpinismus schon immer (auch) um Ruhm und Ehre. John Hunt, der Leiter der britischen Everest-Expedition 1953, hat alles vorbereitet, damit die Nachricht vom Gipfelerfolg – so er denn stattfindet – rechtzeitig zur Krönung Elizabeth II in London eintrifft. Er hätte die Möglichkeiten von Social Media sicher nicht ausgeschlagen, hätte es diese Kommunikationsform damals bereits gegeben.

Übungen mit der Steigklemme im Everest Basecamp, Tibet. Foto: Robert Bösch
Übungen mit der Steigklemme im Everest Basecamp, Tibet. Foto: Robert Bösch

Das wäre einfacher gewesen, als einen Brief im Eiltempo zu Fuß nach Namche Bazar zu befördern. Aber, egal wie die Kommunikation des «Gipfelsieges» erfolgte, es war die Tat am Berg, die außergewöhnlich war. Heute gilt für viele Protagonist*innen der Umkehrschluss: Egal was geleistet wurde, Hauptsache ich kommuniziere öffentlichkeitswirksam.

Wer sich gerne selbst auf Social Media darstellt, um berühmt zu werden oder weil er der Meinung ist, sein Tun sei relevant für die Menschheit, der soll das tun. Nur ist das nicht gleichzeitig der Beweis, dass die erbrachte Leistung auch wirklich erwähnenswert ist. Es wäre die Aufgabe eines guten Journalismus, hier die Spreu vom Weizen zu trennen – und die aktuellen Ereignisse mit alpinistischem Sachverstand einzuordnen und nicht einfach das wiederzugeben, was die Protagonisten*innen auf ihren Media-Kanälen verbreiten. In dieser Verantwortung der kritischen Beurteilung steht man aber auch als Informationskonsument – bevor man „Herzchen“ und „Klatsch-Klatsch“ verschickt.


In der Ausgabe #121 erzählt Harila im Interview von ihrer Sicht der Dinge.


Mehr dazu: Podcast alpenverein basecamp

Titelbild: Mount Everest Gipfel, Foto: Robert Bösch

Alle Kommentare (11)

  1. Julia B.
    25.Okt. 2023 am 8:00 pm | Antworten
    Grandios geschriebener Artikel - er bringt alles auf den Punkt, was es zu diesem Thema zu sagen gibt und es ist traurig, dass durch diese neue Art des Bergsteigens jegliche Gipfel immer überlaufener und kommerzialisierter werden. Es war gut so, dass früher nur die besten der besten einen 8000er geschafft haben und zwar gänzlich ohne fremde Hilfe oder künstlichen Sauerstoff - egal wie lange es gedauert hat. Schade, dass das Geld wie immer alles regiert.
  2. Fabian
    13.Juni 2023 am 2:09 pm | Antworten
    Oh je.... Und wieder ein Artikel mit dem Geschmäckle von Neid... Ich finde dieses "früher war alles besser und 800er-Besteiger waren noch Helden/Abenteurer" oder auch "was heute unter den gegebenen Bedingungen mit gegebenen Möglichkeiten gemacht wird ist im Vergleich wertlos, sofern man sich nicht künstlich in die Vergangenheit begibt" sind doch unnötige Äußerung von Neid und Missgunst, bzw. spiegelt sich so der elitäre Anspruch wider anderer Menschen Leistungen abwerten zu dürfen. Entweder Dinge werden so gemacht, wie es die alten Herren (und Damen) immer gemacht haben, oder es wird mit Giftpfeilen und Unterstellungen um sich geschossen ... Ob mit oder ohne verbesserte Logistik und ob mit oder ohne Sauerstoff, es ist eine beachtliche Leistung nach einer Frühjahrssaison nur noch die pakistanischen 8000er offen zu haben (und nebenbei 2 Jahre in Folge Geschwindigkeitsbesteigungen der 8000er durchzuhalten) und schmälert/beschreibt weder die Leistung von Gerlinde Kaltenbrunner, noch beeinflusst es eigene Erfahrungen und Leistungen, sofern man sich nicht fälschlicherweise mit Frau Harilla vergleicht. Auch die meisten "Helden" der früheren Tage haben sich mit den Möglichkeiten ihrer Zeit vermarktet (von Biographien über Vortragsserien bis hin zum Schaulaufen für Sponsoren) und die Möglichkeiten ihrer Zeit für die Logistik genutzt.
    1. Helmut Kaindl
      26.Juni 2023 am 10:59 am
      Dem Autor hier "Neid" zu unterstellen ist bei gründlichem Lesen des Artikels nicht nachvollziehbar. Frau Harila hat selbst ihr Projekt als "inspirierend" für junge Mädchen bezeichnet. Und da ist es doch mehr als angebracht zu hinterfragen, zu welcher Art von Bergsteigen / Tourismus / Lebensstil eine solche Aktion anregen soll!
  3. Michael
    09.Juni 2023 am 6:37 am | Antworten
    Ich finde es fürchterlich, dass über so etwas überhaupt berichtet wird. Bitte diese Frau nicht in einem Atemzug mit Gerlinde Kaltenbrunner, Reinhold Messner oder Ueli Steck nennen. Das hat gar nichts miteinander zu tun. Das geht Richtung Blasphemie!
  4. Arias
    08.Juni 2023 am 11:46 am | Antworten
    Ich glaube Kristin Harila hat sich selber nie mit Gerlinde verglichen. Deshalb verstehe ich nicht wieso der Beitrag und die Kommentare so negativ gegen Harila sind. Ich glaube hier spielt der Neid gross mit. Man kan auch Respekt von Harlia haben, Ihr Projekt würdigen. Für 14 Peaks in vielleicht 3 Monate braucht es auch Willenskraft, Kondition und Kraft. Also stop the hate und share the love .
    1. Simon
      09.Juni 2023 am 10:39 pm
      I think this article clarifys a lot of what you are asking and somehow you miss that this has only a limited connection to mountaineering/alpinism which is our sport. Reinhold must cringe, as I am sure the other Himalayan pioneers would too, as they mostly see Nims so called record as a magnificent effort in logistics, organisation and fundraising. That people can nowdays, climb an 8000m peak with no prior experience makes a mockery of the ascent.
  5. Geggi
    08.Juni 2023 am 7:19 am | Antworten
    Ich glaube ein Vergleich wäre wenn man mit dem MTB auf den Berg hoch fährt und dann ein E-Bike vorbei zieht. Der Weg und das Ziel sind das selbe aber die Leistung nicht.
  6. Peter Holetschek
    07.Juni 2023 am 7:14 am | Antworten
    Absolut richtig - Gerlinde KALTENBRUNNER ist ein Genie, Kristin HARILA eine entartete Karikatur....
    1. Jörg Mayer
      04.Juli 2023 am 4:07 pm
      Ihre Aussage ist einfach nur widerlich und geschmacklos. entartet = NAZI-Sprech !!!
  7. Felicitas
    06.Juni 2023 am 1:29 pm | Antworten
    Super! Endlich sagt es einmmal jemand! Was Gerlinde und Kristin machen ist nicht vergleichbar. Wobei die Leistung von Kristin auch sehr beachtlich ist, aber es ist halt was anderes mit Sauerstoff. Das eine ist Bergsteigen und das andere Speedtourismus.
    1. Peter Kling
      05.Aug. 2023 am 3:45 pm
      Eine Kristin Harila trennen Welten von dem, was das bergsteigertische Können einer Gerlinde Kaltenbrunner betrifft!