
How-To: Assistiertes Abseilen
Im Rahmen der Bergführertätigkeit in Südtirol unterscheiden wir zwischen drei Abseilmethoden:
- dem Ablassen,
- dem selbständigen Abseilen
- dem assistierten Abseilen.
Vorweg: Auch wenn auf den Normalwegen und beim Gehen am kurzen Seil nach wie vor viel abgelassen wird (der Bergführer klettert ab oder seilt sich hinterher), wird heutzutage in den allermeisten Fällen das klassische selbständige Abseilen angewandt.
Trotzdem wird die Methode des assistierten Abseilens nach wie vor ausgiebig in der Ausbildung gelehrt, da sie in gewissen Situationen perfekt eingesetzt werden kann und somit zu einer höheren Qualität der Führungstechnik beiträgt (Abb. 1). Einmal ist es ein Sicherheitsfaktor, sich oberhalb des Gastes zu befinden und ihn über einen Fixpunkt jederzeit optimal sichern zu können, weiters ist auch der psychologische Aspekt, dem Anfänger oder Ungeübten aus nächster Nähe Anweisungen zu geben und ihn dementsprechend zu unterstützen, nicht außer Acht zu lassen. Außerdem ist das Lernen der Methode eine gute Übung, um die Fähigkeiten in punkto Seiltechnik und -handling zu verbessern.

1. Selbstsicherung
Für alle Abseilmethoden wird der Gast bereits am Beginn des Abstieges mit einer Selbstsicherungsschlinge ausgestattet. Der Einfachheit halber kommt dazu eine 120-cm-Bandschlinge zum Einsatz (diese wurde vorher im Aufstieg bereits als Selbstsicherungsschlinge verwendet). Nach der heutzutage hinlänglich bekannten Methode wird sie mit dem Ankerstich im Abseilring eingehängt und der Selbstsicherungskarabiner (Verschlusskarabiner) wird mit Ankerstich oder Mastwurf befestigt.
Etwa 20 cm vom Körper entfernt wird die Bandschlinge nochmal mit einem Sackstich oder Achterknoten abgebunden. Bei Abseilstellen, die direkt hintereinander folgen, wird neuerdings häufig auf den Abbinde-Knoten in der Bandschlinge verzichtet und dort eben in der Entfernung von 20 cm zum Körper ein Sicherungskarabiner mittels Mastwurf eingeknotet, um dort das Abseilgerät (Tuber) einzuhängen. Einmal festgezogen hat der mit Mastwurf fixierte Sicherungskarabiner den Vorteil, dass er sehr stabil hängt und beim Umhängen des Tubers nicht versehentlich falsch eingehängt werden kann (Abb. 2).
Beim Absteigen und Abklettern wird der Selbstsicherungskarabiner in die Materialschlaufe am Gurt gehängt – und wichtig: Die Selbstsicherungsschlinge wird von oben nach unten hinter der Beinschlaufe verstaut. Somit wird verhindert, dass man über die vor dem Körper baumelnde Selbstsicherungsschlinge stolpert, sie ist aber trotzdem sofort einsatzbereit, wenn sie benötigt wird (Abb. 3). Selbstverständlich werden hierzu auch die bereits vorgefertigten Adjust-Schlingen von Petzl, Edelrid usw. verwendet, nur hat die noch nicht jeder dabei.

2. Ablassen
Beim Führen im einfachen Klettergelände wird nach wie vor die Methode des Ablassens verwendet. Entweder da der Gast nicht selbständig abseilen möchte oder er dies noch nicht kann oder weil der Bergführer selber nicht abseilt, sondern einfach abklettert, dies vor allem bei kurzen Abseilstellen, beim Gehen am kurzen Seil.
Oder ganz pragmatisch, weil es einfach die schnellste Methode ist. Als Bremselement kommt hier oftmals noch der Halbmastwurfknoten zum Einsatz. Dabei ist es wichtig, darauf zu achten, dass das Seil schön parallel zum auslaufenden Seilstrang eingeführt wird, da damit die Krangelbildung vermieden wird.
Würde das Bremsseil mit ungünstigem Winkel zum herauslaufenden Seil in den HMS-Karabiner eingeführt, ist das Krangeln vorprogrammiert. Die seilschonendere Variante ist das Ablassen mittels Tuber. Dazu können verschiedene Methoden angewandt werden. Wenn sowieso abgeseilt wird und das Seil eingefädelt werden muss, bietet es sich an, den Abseilring als erste Umlenkung zu verwenden, über die das Seil in den Tuber hineinläuft.
3. Selbständig Abseilen
Diese hinlänglich bekannte Methode des Abseilens, die bei jedem Kletter-Grundkurs bereits gezeigt wird, hat im Rahmen der Bergführertätigkeit doch ihre Tücken (das belegen leider auch einige Unfälle). Daher wird bei uns diese Technik nur unter Einhaltung einiger spezifischer Richtlinien angewandt. Das wichtigste Kriterium dabei ist: Der Gast braucht nichts ein- bzw. auszuhängen, wenn er nicht unter direkter Aufsicht des Bergführers ist.
Deshalb wird der Kunde am Abseilstand mit eingehängtem Abseilgerät vorbereitet, bevor der Bergführer sich abseilt. Wenn der Bergführer sich anschickt abzuseilen, wird auch noch die Selbstsicherung des Gastes ausgehängt, damit dieser nicht die Möglichkeit hat, etwas „Falsches“ auszuhängen. Der Gast ist trotzdem über sein bereits eingehängtes Abseilgerät gut gesichert, da das Abseilseil vom unterhalb hängenden Bergführer belastet wird.
Es liegt natürlich am diesem, darauf zu achten, dass das Seil immer mindestens leicht belastet bleibt. Ist der Bergführer am nächsten Abseilstand angekommen, wird das Seil langsam entlastet und der Gast erhält das Kommando nachzukommen. Während das Abseilgerät sofort ausgehängt wird, bleibt der Prusik im Seil eingebunden, um einen geschlossenen Ring zu bilden. Situationsbedingt kann dieser auch vom Klettergurt des Bergführers direkt in den Abseilhaken gehängt werden, um noch stabiler zu wirken.

Unter Umständen wird bei dieser Methode auf den Prusik beim Kunden verzichtet, da ihn der Bergführer über das Festhalten der Seile jederzeit gut sichern kann. Sobald der Gast beim Bergführer am Abseilstand angekommen ist, kann er sich mit seiner Selbstsicherung einhängen und das ganze Prozedere beginnt unter Aufsicht des Bergführers von Neuem.
4. Assistiertes Abseilen
Vorausgeschickt: Im Vergleich zum selbständigen Abseilen wird diese Methode deutlich seltener angewandt, da sie doch um einiges aufwendiger ist und gute Ortskenntnisse des Bergführers voraussetzt. Die größten Vorteile bringt diese Art des Abseilens mit ungeübten Teilnehmern und an Abseilstellen, an denen der Bergführer die Position der Abseilringe bereits kennt.
Beim Führen wird man aber laufend mit Situationen konfrontiert, in denen die Vorteile dieser Art des unterstützten Abseilens zum Tragen kommen. Vorrangig bei Teilnehmern, die noch keinerlei Erfahrung mit dem Abseilen haben oder die von Natur aus etwas ängstlich sind und es dementsprechend bevorzugen, in heiklen Situationen den Bergführer in ihrer Nähe zu haben. Das erste Mal Abseilen beim Kletterkurs oder die ausgesetzte Abseilstelle im Abstieg, wo das Lossteigen vom Abseilstand über die Kante nach unten die größte Herausforderung darstellt, können solche Beispiele sein.
Der Vorteil der direkten Unterstützung des Gastes in solchen Situationen liegt auf der Hand, setzt aber voraus, dass man den weiteren Verlauf der Abstiegsroute bzw. die Position des nächsten Abseilhakens bereits kennt und dem Teilnehmer dementsprechende Anweisungen geben kann. Angewandt mit nur einem Gast und guten Ortskenntnissen ist auch der Zeitaufwand nicht höher als beim normalen Abseilen.
Assistiertes Abseilen: Ein Teilnehmer
Der Gast bleibt immer mit Anseilknoten im Seil eingebunden. Am Abseilstand angekommen, wird das Seil wie beim normalen Abseilen auch bis zur Mitte eingefädelt. Nun mittels Blockierungsschlinge (Schleifknoten) jenes Seil blockieren, an welchem das Ende frei ist. Jetzt das Abseilgerät des Gastes in das blockierte Seil (loses Ende, welches bereits der Wand entlang nach unten hängt) einhängen.
Natürlich kann der Teilnehmer in die Aktion mit einbezogen werden, damit er lernt, sein Abseilgerät selbst ein- und auszuhängen. Der Einzelseilstrang, an welchem der Gast noch eingebunden ist, wird mittels Halbmastwurfknoten in einen bereits vorbereiteten HMS-Karabiner in den Abseilring eingehängt. Somit seilt sich der Teilnehmer selbständig am fixierten Einzelstrang ab, ist aber permanent per HMS von oben gesichert. Wichtig dabei ist, dass der Bergführer das Sicherungsseil nicht zu straff hält, damit der Abseilende den gesamten Abseilvorgang definitiv eigenhändig durchführen kann (siehe Abb. 1).
Am nächsten Abseilring angekommen (wenn kein Sichtkontakt da ist, muss die Position vorher gut erklärt werden), hängt sich der Teilnehmer mit seiner Selbstsicherungsschlinge ein. Sollte er nicht den richtigen Haken gefunden oder sonst einen Fehler gemacht haben, ist das weiter kein Problem, da er immer noch von oben gesichert ist. Der Halbmastwurf im Abseilring (Sicherungsseil) wird mit einer Blockierungsschlinge (Schleifknoten) abgebunden, um die ausgegebene Länge beizubehalten und um das Seil zu fixieren, damit der Gast immer zusätzlich optimal von oben gesichert bleibt.
Die Blockierungsschlinge (Schleifknoten), mit welcher die Seilmitte fixiert ist, wird nun gelöst und das vorhandene Schlappseil so weit nach oben durchgezogen, bis sich das Seil, in welches der Gast nach wie vor eingebunden ist, strafft. Jetzt hängt der Bergführer noch sein Abseilgerät und evtl. auch den Prusikknoten in die Seile ein, löst die Blockierungsschlinge im HMS-Karabiner, baut alles ab und seilt hinterher.
Assistiertes Abseilen: Zwei Teilnehmer
Vieles bleibt gleich, trotzdem gilt es einige Zusätze zu beachten. Ein Teilnehmer muss aus dem Seil ausgebunden werden. Im Gegensatz zum assistierten Abseilen mit nur einem Kunden wird das Seil nicht sofort in den Abseilring eingefädelt, sondern die Seilmitte einfach mit Mastwurf und Schraubkarabiner im Abseilhaken fixiert.
Der Abseilvorgang des ersten Kunden (in der Regel der Erfahrenere) wird genauso ausgeführt wie mit nur einem Kunden. Allerdings muss dem Gast klar kommuniziert werden, dass er unten am nächsten Abseilhaken angekommen sein Abseilgerät aus dem Seil aushängen muss. Er bleibt aber im Seil eingebunden, über welches er mittels Halbmastwurf beim Abseilen gesichert wurde. Ebendieser Halbmastwurf wird jetzt wieder blockiert.

Nun muss das lose Seil (an welchem vorher abgeseilt wurde) wieder ganz eingezogen werden, um das Seilende in den Abseilring einzufädeln. Nachdem das passiert ist, bindet sich der zweite Teilnehmer in das Seil ein, da er anschließend über diesen Seilstrang gesichert wird. Sein Abseilgerät hängt der zweite Gast in den zweiten, nach wie vor am Abseilring blockierten Seilstrang ein und seilt sich dem entlang ab.
Gesichert wird er wiederum von oben über jenen Seilstrang, in den er sich vorher eingebunden hat. Da das Sicherungsseil gleichzeitig durch den Abseilring gezogen wird, eignet sich als Sicherungsgerät – in diesem Fall der Tuber – besser als der Halbmastwurf (Abb. 4). Sobald der Gast am Abseilring angekommen ist, muss wiederum das Seil im Abseilring blockiert werden. Anschließend so wie beim Abseilen mit einem Kunden das vorhandene Schlappseil nach oben durchziehen, dann Tuber des Bergführers einhängen, Schleifknoten am Abseilring lösen und hinterherseilen.
Wichtig: Der zweite Teilnehmer wird angewiesen, sein Abseilgerät nicht auszuhängen, wenn er unten angekommen ist, sondern er bleibt damit im Seil eingehängt, sodass beide Gäste an jenem Seilstrang gesichert sind, der vom Bergführer straffgezogen wird.
Zusätzliche Hinweise
- Für den besseren Überblick, vor allem beim assistierten Abseilen mit zwei Kunden, ist ein Bicolor-Kletterseil von Vorteil.
- Abseilstellen, welche in Gelände enden, in dem keine Absturzgefahr herrscht (breite Absätze/Bänder, letzte Abseilstelle auf den Boden usw.) erleichtern die Methode beträchtlich. Das Blockieren und anschließende Zurückziehen des Sicherungsseiles entfällt in dieser Situation.
- Natürlich können bei zwei Teilnehmern auch Methoden kombiniert werden. So kann z. B. der erste Teilnehmer abgelassen werden und der zweite dann assistiert abseilen; oder der erste Teilnehmer wird assistiert abgeseilt, der zweite, der bereits selbständig abseilen kann, wird wie oben beim selbständigen Abseilen beschrieben mittels Abseilgerät eingehängt. Vor ihm seilt der Bergführer ab und der Gast seilt dann als Letzter – unter Aufsicht des Bergführers (Seile mit den Händen festhalten und geschlossener Ring mittels Prusik) – selbständig ab.
- Das assistierte Abseilen mit einem Kunden ist einfach zu handeln und beansprucht auch nicht mehr Zeit als das selbständige Abseilen. Dagegen setzt das assistierte Abseilen mit zwei Teilnehmern das perfekte Beherrschen der Methode voraus, um zum gewünschten Ergebnis zu kommen.
Bergführerserie. Seit Herbst 2022 sind die Bergführerverbände der Schweiz, von Österreich, Deutschland und Südtirol als Redaktionsbeiräte bei bergundsteigen mit an Bord. Daher erscheint seither in jeder Ausgabe ein Beitrag dieser Verbände. Die Serie soll informieren und zugleich einen konstruktiven Austausch anregen und dadurch indirekt die Bergführerausbildung weiterentwickeln.